Redebeitrag: Tag gegen Gewalt an Frauen 2024
vom 25.11.2024Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, nahmen wir als Lila Hilfe in Form eines (digitalen) Redebeitrags auf einer Kundgebung in Rostock teil, um auf die Missstände in Bezug auf sexistische Gewalt aufmerksam zu machen. Den Beitrag könnt ihr im Folgenden nachhören und lesen.
Ich spreche heute für die Lila Hilfe. Da einige von euch diese sicher noch nicht kennen, möchte ich zu Beginn kurz erklären, wer die Lila Hilfe ist. Die Lila Hilfe ist eine parteiunabhängige und strömungsübergreifende Frauensolidaritätsorganisation. Gegründet hat diese sich schlicht aus feministischer Notwendigkeit. Wir organisieren Unterstützung für all diejenigen, die frauenfeindlicher Gewalt ausgesetzt, sexistisch diskriminiert und strukturell ausgebeutet werden. Im Fokus der praktischen Solidarität steht dabei insbesondere die finanzielle Unterstützung bei z.B. juristischen Verfahren.
Gegründet hat sich die Lila Hilfe schlicht aus feministischer Notwendigkeit.
Unsere Solidarität kann sich jedoch in verschiedenen Formen ausdrücken: Zum Beispiel eben als finanzielle Unterstützung bei Rechts- und Anwaltskosten oder in Form von Herstellung von Öffentlichkeit für gerichtliche Prozesse und Fälle von Sexismus und frauenfeindlicher Gewalt. Darüber hinaus verstehen wir solidarisches Handeln auch darin, gegenseitige praktische und beratende Unterstützungsstrukturen aufzubauen und Angebote weiterzuvermitteln. Wir verstehen die Lila Hilfe als eine Unterstützungs- und Solidaritätsstruktur, die im akuten Fall unterstützt und grundlegend den Zusammenhalt von Frauen und Mädchen stärkt, indem wir uns gegenseitig materiell und sozial beistehen.
Wir können durch gelebte Solidarität nicht nur uns selbst und anderen Frauen in ihren individuellen Erfahrungen mit sexistischer Gewalt helfen, sondern langfristig ein Gegengewicht zu den frauenfeindlichen Strukturen in Deutschland aufbauen können, die diese Gewalt begünstigen.
Gemeinsam wollen wir als Lila Hilfe ein Gegengewicht zu den ungleichen Lebenschancen ermöglichen, die uns aufgrund unseres Geschlechts zugestanden werden.
Auch, wenn das Thema selten Jubelschreie hervorruft – und das sollte es in diesem Fall auch wirklich nicht – muss über Zahlen und Finanzen gesprochen werden.
Aufs Jahr gerechnet werden in Deutschland jede Stunde 13 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. Beinahe täglich versucht euch ein Mann, seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden. Beinahe jeden dritten Tag gelingt es ihm. Über 14 000 Frauen suchen jährlich Schutz in Frauenhäusern und jedes Jahr fliehen mit ihnen über 16 000 Kinder. Aber: Auch diese Zuflucht steht nicht jeder Frau offen. Jede Nacht im Frauenhaus kostet Geld. Gut jede vierte Frau muss die Kosten für ihren Aufenthalt im Schutzraum ganz oder zumindest anteilig selbst zahlen, 2019 war es sogar fast die Hälfte der Frauen. Kein Geld bedeutet: kein Schutz. Der Staat versagt hier gnadenlos in seiner Aufgabe und übernimmt nur teilweise die Verantwortung zum Schutz. Genau das kann zur Folge haben, dass Frauen, die in ihrem Zuhause von Gewalt betroffen sind, sich den Aufenthalt gar nicht leisten können und daher in den Gewaltstrukturen gefangen sind. Schutzsuchende haben also auch dabei große Hürden zu überwinden, die sie im Zweifelsfall sogar das Leben kosten können.
Geht es um Partnerschaftsgewalt, sind Ämter, Gerichte und andere Institutionen auf zwei Augen blind, […] als von Gewalt Betroffene sieht man sich einem Rechtssystem gegenüber, welches Täter schützt
Der Staat lässt – man muss es so sagen – von Gewalt betroffene Frauen in vielerlei Hinsicht alleine. Viele Institutionen bieten nicht den Schutz, den sie leisten sollten und ganz im Gegenteil sind staatliche Strukturen sogar selbst Teil eines gewaltvollen Systems. Geht es um Partnerschaftsgewalt, sind Ämter, Gerichte und andere Institutionen auf zwei Augen blind.
Auch nach dem Schritt, sich aus den Gewaltverhältnissen zu entfernen, hört die Ungleichheit nicht auf. Unzählige Frauen, die Gewalt erlebt haben, leiten im Nachhinein keine rechtlichen Schritte gegen die Täter ein – z.B. aufgrund negativer Polizeierfahrungen, mangelnder Unterstützung und schlicht finanzieller Unmöglichkeit. Als von Gewalt Betroffene sieht man sich einem Rechtssystem gegenüber, welches Täter schützt, Beweisführung und Rechtsauslegung gehen zu Ungunsten der Betroffenen. Ein solcher Prozess bedeutet häufig einen monatelangen, kräftezehrenden und teuren Kampf voller Behördengänge, Gespräche, Atteste, Untersuchungen, Traumawiederholung Retraumatisierung und Täter-Opfer-Umkehr. Von Gewalt betroffenen Frauen, welche sich gegen ihren Täter zur Wehr setzen wollen, wird in Institutionen mangelnder Glaube entgegengebracht, so fallen auch beispielsweise psychologische Gutachten oft zu ihren Ungunsten aus. Horrende Kosten und die finanzielle Belastung, die gerichtliche Prozesse bedeuten, tun ihr übriges, um Frauen davon abzuhalten, so nach Gerechtigkeit zu streben.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der an dieser Stelle wichtig aufzuführen ist, ist, dass Frauen im Schnitt auch einkommenstechnisch noch immer weniger verdienen als Männer und im Arbeitsleben beim Gehalt benachteiligt werden. Gerade in heterosexuellen Paarbeziehungen verstärkt sich diese finanzielle Ungleichheit oft. Für Frauen besteht auch ein höheres Risiko, später in Altersarmut zu enden. Besonders kann das zu Tage treten, wenn in der Beziehung Kinder leben. Wenn sich um die Kinder gekümmert werden muss, ist es in der Regel die Frau, die Zuhause bleibt, um die Kinder zu betreuen. Insgesamt arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und unterbrechen länger die Berufstätigkeit für die Familie. Damit entwickelt sich eine verstärkte finanzielle Abhängigkeit vom Partner. Die Frau wird so noch enger an die Beziehung gebunden und hat es schwerer, diese zu verlassen, wenn es z.B. zu Missbrauch kommt. Hinzu kommt das Wohl ihrer Kinder, die zum einen versorgt werden müssen, zum anderen aber auch nicht in einem gewaltvollen Umfeld verbleiben sollten. Beim Verlassen der Beziehung droht Frauen in solchen Situationen – und auch den Kindern – schnell die Armut. Bei sich anschließenden Sorgerechtsfragen und damit verbundenen Sorgerechtsprozessen gestaltet sich dies für betroffene Mütter als bedeutendes Problem und kann zu ihrem Nachteil genutzt werden.
In all diesen Fällen sehen wir uns stets mit ungleichen Machtverhältnissen konfrontiert, die aus den patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft und ihrer Institutionen herrühren. Doch wie sich dagegen stellen?
Gemeinsam wollen wir als Lila Hilfe ein Gegengewicht zu den ungleichen Lebenschancen ermöglichen, die uns aufgrund unseres Geschlechts zugestanden werden, sowie zur sexistischen Gewalt, der wir täglich im Beruf, in der Öffentlichkeit und in unseren Partnerschaften und Familien ausgesetzt sind. Diesen Problemen sind wir nicht alleine ausgesetzt – sie betreffen uns als Frauen, Schwestern, Tanten, Mütter, und so weiter. Und weil diese Gewalt eben kein einzelnes Problem ist, sondern ein strukturelles, sollten wir uns all dem auch nicht allein stellen müssen, sondern jeden dieser Fälle als einen gemeinsamen sehen, dessen Lösung eine kollektive ist, für die wir gemeinsam solidarisch aufkommen.
Keine Frau sollte Angst haben, denjenigen anzuzeigen, der ihr Gewalt angetan hat, weil sie Angst vor Repression und den Kosten des Verfahrens hat.
Wir wollen erreichen, dass wir uns unserer gemeinsamen Gewalterfahrungen und Benachteiligung bewusst werden und uns zusammenschließen. Gemeinsam können wir nicht nur die Schäden der Gewalt, die uns durch die Strukturen der Gesellschaft und durch Einzelpersonen angetan wird, besser ertragen, sondern auch besser bekämpfen.
Wir wollen die Angst oder Ohnmacht, aufgrund derer sich Frauen häufig nicht gegen diese Zustände wehren, überwinden. Das wollen wir erreichen, indem wir praktisch handeln und praktisch füreinander da sind.
Keine Frau sollte Angst haben, denjenigen anzuzeigen, der ihr Gewalt angetan hat, weil sie Angst vor Repression und den Kosten des Verfahrens hat.
Keine Frau sollte sich davon zurückhalten, sich gegen Gewalt zu wehren, sei es als körperliche oder rechtliche Gegenwehr oder durch direkte Aktionen.
Keine Frau sollte sich allein und hilflos fühlen, wenn ihrer Freundin, Nachbarin, Schwester oder Mutter Gewalt angetan wurde.
Deshalb streben wir nach einer breiten Solidaritätsstruktur, durch die wir uns gegenseitig sowohl finanziell absichern, Unterstützung und Beratung vermitteln und schwesterlich jeder Frau zur Seite stehen können, sodass niemand mit Gewalterfahrungen und dem Umgang mit selbigen alleine ist. Denn das seid ihr niemals. Das Private ist Politisch und politisch heißt, es betrifft uns gemeinsam. Und NUR gemeinsam können wir unsere Leben und Chancen verbessern.